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Amateurfunk aus Leidenschaft

Quersack-Indianer

Die Quersack-Indianer und Amateurfunk?

Kurz vor Weihnachten 2021 erhielt ich eine E-Mail von Reiner Wirth, Sohn des ehemaligen Chemnitzer Funkamateurs Fritz Wirth (D4LQH bzw. D4BMU). Uns verbindet seit einiger Zeit eine enge Freundschaft. Von ihm erhielt ich u.a. zahlreiche Amateurfunk-Hinterlassenschaften und auch persönliche Dokumente seines Vaters. (siehe auch hier)

Nun tauchte in besagter E-Mail der Begriff Quersack-Indianer auf?

Zugegeben, dieser Name rief beim ersten Lesen Heiterkeit hervor, denn auch in meiner Jugendzeit mit den zahlreichen Indianerbüchern und -filmen kam mir dieser Begriff noch nie unter. Dann ein Zusammenhang zum Amateurfunk und Fritz Wirth? Nun weiß man, dass es viele exotische Aktionen bzw. Expeditionen gibt. Warum nicht eine DX-Expedition zu den Quersack-Indianern? – Aber wo sind die und gibt es da eine DXCC-Zuteilung? Das Rätsel löste sich sehr schnell.

Fritz Wirth war in seiner Jugend in der väterlichen Nadelfabrik in Wittgensdorf bei Chemnitz tätig. Nadelfabriken hatten bereits im 19. Jahrhundert Konjunktur auf Grund der stark verbreiteten Strumpf­wirkereien im Erzgebirge, wo diese Nadeln für die Wirk-Stühle gebraucht wurden.

Die Strumpfindustrie war für viele Ortschaften im Erzgebirge eine bedeutende Einnahmequelle. Aus den einstigen Strumpfwirker-Stuben sind u.a. weltweit führende Fabriken geworden. Hervorzuheben sind da die Orte Thalheim und Auerbach nahe Chemnitz.

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Die Strumpferzeugnisse mussten aber auch verkauft werden. Quersackindianer – so wurden die erzgebirgischen Strumpfwirker genannt, die das Ergebnis ihrer Arbeit in einem sogenannten Quersack, den sie über die Schulter warfen, zu ihren Verlegern brachten. So zog man über das Land, um in großen Städten wie Chemnitz die Ware feil zu bieten. 

(Mit dem Begriff „Quersack-Indianer“ findet man in den einschlägigen Suchmaschinen auch zahlreiche Hinweise.)

Eine nicht ungefährliche Reise. Um in den Wäldern den Räubern zu entgehen, schlich man (den Indianern gleich) durch das Buschwerk. So entstand der Name Quersack-Indianer :-) Symbolfigur war der der Quersack-Max, aus dem Zwönitztal.

Das Bild bzw. die ehemalige Visitenkarte stammen aus dem Familienbesitz von Reiner Wirth und waren somit der Hintergrund für diese Zeilen.

 Das Strumpfhandwerk hatte sich schon Anfang des 18. Jahrhunderts etabliert. An den mechanischen Handwirkstühlen arbeiteten tausende Männer und Frauen in reinen Familienbetrieben. In den meisten Wohnhäusern gab es einen Raum, in dem die Strümpfe produziert wurden.  

Reiner Wirth schrieb dazu: Im Schlafzimmer meiner Oma ragten noch die Metallstreben aus der Wand, an denen früher wohl irgendwelche Maschinen befestigt waren.  Mitte des 19.   Jahrhunderts brach eine neue Ära an: englische Cotton­maschinen verdrängten nach und nach die mechanischen Wirkstühle. Um 1900 schossen die Strumpffabriken in Thalheim und dem Zwönitztal, Auerbach, Thum und Zschopau wie Pilze aus dem Boden. Thalheim zählte allein im Jahr 1897 schon vierzig Fabrikanten. Mit dem Export nach Amerika fuhren die Fabrikanten hohe Gewinne ein, mussten aber auch nach 1906 harte Rückschläge einstecken, als die englische Ware die deutsche vom Markt verdrängte. 

Noch heute zeugen in den erwähnten Orten die alten Fabriken von diesem Industriezweig. In einigen Orten (Thalheim, Auerbach, Dorfchemnitz) entstanden wahre Strumpfpaläste, die nach 1945 zum "Strumpfkombinat ESDA" zusammengefasst wurden. 

Nach der Wende arbeitet allerdings nur noch ein winziger Bruchteil der Belegschaft an den erzgebirgischen Strumpfwaren. Das ESDA Kombinat ging 1990 in Konkurs und im gesamtdeutschen Markt hatten nur kleinere, den Privateigentümern zurück übereignete, Firmen Bestand. Große, prunkvolle Villen zeugen vom Reichtum der einstigen Fabrikanten. In Thalheim wird eine einstige Fabrikantenvilla zum Beispiel als Ärztehaus und eine andere wunderschöne Villa als Sprachheilklinik genutzt und das schon seit DDR Zeiten. In den Peripherien der Kleinstädte sieht man aber auch die Kehrseite der Medaille. Die ehemaligen Fabriken - die Fenster blind oder eingeworfen, verfallen die Gebäude als mahnender Schandfleck im Ortsbild. Abriss ist wohl zu teuer.

Soweit ein kleiner Ausflug zu den „Quersack-Indianern“, bzw. in die Heimat­geschichte. Womit auch die Verbindung zum ehemaligen Chemnitzer Funkamateur Fritz Wirth und seinem heimatverbundenen Sohn Reiner Wirth sich erklärt, dem an dieser Stelle nochmals für die zahlreichen historischen Dokumente und Informationen mein Dank gilt.

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